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das mobiltelefon und der öffentliche raum
 
symposium "okkupation", berlin-neukölln
in: schumacher, jonas (hg.): okkupation, berlin, 2004
 


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Man hat sich auch genauso daran gewöhnt private gespräche mitzuhören, wie andere bei den eigenen gesprächen mithören zu lassen.
Der andere, der mithörende ist für den telefonierer eigentlich gar nicht da - darum kann er auch alles hören, weil man miteinander gar nichts zu tun hat. Man kennt ihn nicht, will ihn auch gar nicht kennenlernen und rechnet auch nicht damit irgendwann später auf ihn wiederzutreffen.
Umgekehrt existiert der telefonierende für die mithörer auch nicht. Man hört ihn reden, hört aber nicht zu. Er hat sich sozusagen „weggebeamt", ist zwar körperlich anwesend, geistig-seelisch allerdings an einem anderen ort. Der telefonierer schafft sich im öffentlichen raum ein kleines privates feld, dass durch die lautstärke seiner stimme begrenzt wird. er hat sich, wie der autofahrer, eine private kapsel geschaffen mit der er sich durch den öffentlichen raum bewegt und zugleich vor ihm schützt.
So ist es auch zu erklären, dass die möglichkeit des öffentlichen raums zur anonymität, das verschwinden können in der masse, die durch permanente erreichbarkeit eigentlich ausgehebelt wird, niemanden zu stören scheint. Der anrufer ist ja (körperlich) auch nicht da. Man befindet sich in zwei verschiedenen raumwelten, die sich je nach bedarf aktivieren lassen.
In diesem zusammenhang sind die anfangssätze eines handygesprächs bemerkenswert: wie wenn ein code einzugeben wäre - weil sinn macht es in den wenigsten fällen - fragt der anrufer zuallerst nach dem standort des mobiltelefonisten. Erst nach dessen verortung bzw. nach der gegenseitigen verortung kann man mit dem eigentlichen gespräch beginnen. Das ist deswegen interessant und auch anachronistisch, weil mobiltelephonierer sich vom physisch-realen ort losgelöst haben und sich im virtuellen raum aufhalten. Aber offenbar trauen sie ihrer virtuellen existenz noch nicht vollständig und es bricht auch in diesem fall die „antiquiertheit des menschen" (günther anders) durch.      
Noch antiquierter sind allerdings diejenigen mobiltelephonisten, denen überwachungskameras ein dorn im auge sind, denen aber der freiwillige selbstanschluß an das überwachungsnetz - mittels handy, internet oder gps - keinerlei beschwerden verursacht, obwohl dessen auswirkungen bedeutend mehr in die privatsphäre eingreifen.

Weniger problem als der raum bereitet uns die zeit. Jederzeit an(ge)rufen (werden) und alles andere dabei sofort sein zu lassen schaffen wir mühelos. Kaum jemand fragt ob man denn auch zeit hätte für ein gespräch und niemand antwortet er könne jetzt gerade nicht weil er im öffentlichen raum mit vielen anderen menschen ist. so etwas kann man sich nur noch in einem film von achternbusch vorstellen.
Stand der öffentliche raum auch für das gedankenverlorene bewegen und für die möglichkeit auf unvorbereitetes und zufälliges zu stoßen, also für eine unverplante offene zeit, so hat das handy diese „leerzeiten" zunehmend eliminiert. Sobald die „gefahr" der langweile aufkommt bietet das handy abwechslung und ersetzt diesbezüglich den im öffentlichen raum fehlenden eigenen fernseher. Man zappt sich durch die nummern der bekannten, bleibt beim einem oder anderem hängen, telefoniert oder schickt eine sms. Die Kontaktaufnahme zu anderen im selben real-öffentlichen raum befindlichen wird erschwert.
Kann man im öffentlchen raum noch flirten, kann man im öffentlichen raum noch auf jemanden treffen, der nichts zu tun hat, weil er auf den bus wartet oder weil er sitzengelassen wurde ? wohl schwer, weil man per handy sofort abhilfe schaffen kann und sich in sein virtuelles bekanntennetzwerk zurückziehen kann. Warten oder frei und offen sein für überraschendes setzt einen seinem aktuellen (unbekannten) umfeld aus und ist zeichen von schwäche: man hat nur diese eine welt und ist ihr ausgeliefert.
So wird auch verständlich, dass die mehrheit der obdachlosen ein handy besitzen. weniger weil man damit seine bedeutung demonstrieren bzw. seine bedeutungslosigkeit kaschieren möchte, als vielmehr wegen der möglichkeit in notfällen hilfe zu holen. (und auch weil man dadurch wieder erreichbar wird - quasi eine adresse bekommt).
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