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peter arlt: sieben gewöhnliche orte
 
dissertation, linz, berlin, 1997
 


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2.1. Leerstelle des Ortes

Die gewöhnlichen Orte sind störrisch, eigensinnig in Hinsicht auf Verwertung (1), Vereinheitlichung (2) und Inszenierung (3).
(1) Das was mit einer Stadt oder einem Ort in der Stadt passiert, wie die Entwicklung verläuft, hat ökonomische Hintergründe. Jeder Quadratmeter Stadt hat einen Besitzer und einen Preis.
Für die "Gewöhnlichen Orte scheint dies nicht oder nur bedingt zu gelten. Diese Orte tun so, als ob sie keine Grundrente kennen würden. Sie erscheinen als Inseln in einem Meer der Immobilien- und Grundstücksspekulation, als Orte, die (scheinbar) vom Kapitalismus vergessen worden sind. Die hier beschriebenen gewöhnlichen Orte zeichnen sich durch niedrigen, ökonomischen Druck aus, d.h. die Nachfrage ist gering oder gar nicht vorhanden. Letzteres trifft für alle öffentlichen Verkehrsflächen, öffentliche Grünflächen und öffentliche Gedenkorte zu. Diese Gebiete sind aufgrund ihrer Öffentlichkeit dem Markt entzogen, sind Tabuzonen. Zum Teil sind es aber auch Orte, die sich im Übergang befinden, an denen das Interesse an einer Grundrentenmaximierung zur Zeit nicht gegeben ist, weil sie ohnehin bald erneuert werden (Tempelhof, Columbiakino). Andere Orte liegen schlicht abseits jeglicher Interessen, - kein Angebot, keine Nachfrage (Weißensee).
Das ergibt zum einen vorindustriell anmutende Umgangs- und Erscheinungsformen, während sie andererseits die Grundgesetze kapitalistischer Wirtschaftsordnung par excellence leben: Pragmatik, Improvisation, Flexibilität, Funktionalität. Diese Art von Kapitalismus, die an diesen Orten in Erscheinung tritt, hat in der Globalisierung ihren Widerpart. Die Globalisierung des Kapitalismus hat ihn unsichtbar, abstrakt gemacht: er ist nur noch schön und spielt sich in Köpfen und Netzen ab. Nichts geht mehr von Hand zu Hand, nichts geschieht vor Ort, kein Austausch ist zu bemerken - auch kein Widerspruch: alles geglättet.
Davon ist an den eigensinnigen Orten nichts zu bemerken.
Darin liegt ein nicht unbeträchtlicher Anteil ihres Reizes. Sie sind Hoffnungsträger, real existierende Utopien, weiße Flecken in der Landschaft des Kapitalismus und somit Orte, an denen sich Wünsche und Projektionen festsetzen können. Auch wenn sie nur auf Zeit bestehen, so gibt allein ihre Existenz Hoffnung, daß immer wieder auch neue auftauchen werden und die Herrschaft der Grundrente nie flächendeckend wirksam werden kann.
(2) Sie sind auch nie gänzlich funktional. Sie lassen immer etwas offen, etwas, dessen Zweck, Nutzen nicht klar ist, wo man meint, hier liegt etwas brach und könnte angeeignet werden. Sie sind nie nur eines und sie sind nie fertig. Dagegen sind sie allergisch. Widerstand scheint für diese Orte konstitutiv - so können sie Erstarrung verhindern. Sie entziehen sich jedem Generalzugriff, jeder eindeutigen Definition.
(3) Ihr Eigensinn verwehrt sich auch jeglicher Ästhetisierung und Inszenierung. Sie leben aus sich selbst heraus.

Die gewöhnlichen Orte sind immer ein stückweit unbesetzt, halten Platz frei, für den, der sie ansieht. Diese Orte sind nicht gänzlich determiniert. Der Ort hat offene Stellen, wo ein Ahnungsvolles, Ungewöhnliches durchbricht das zur harten Wirklichkeit das Gegengewicht hält.
Damit ein eigenes Verhältnis zum Ort entstehen kann, bedarf es einer Differenz zwischen dem Code des Ortes und dem Code der Bedeutungszuschreibung. Diese Differenz läßt sich auch als Unbestimmtheits- oder Leerstelle (Brache) bezeichnen. Sie ist Bedingung für Besetzbarkeit und somit für die Entstehung des Dialogs.
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Die Differenz gibt einen Raum frei, in dem die Einbildungskraft des Lesers/Hörers/Stadtbenutzer das Gelesene/Gehörte/den Ort selber in Szene setzen kann. Einen mystischen Raum, den erst seine Benutzer vollenden, die ihn als Inbegriff der Möglichkeiten wahrnehmen, die sie selbst verwirklichen.
Diese Orte besitzen ein nicht eingelöstes utopisches Potential der Vergangenheit, das es für die Gegenwart zu retten gilt. Es ist ein unabgegoltenes Sinnpotential, das eine Welt imaginiert, das die bestehende Gesellschaft utopisch übersteigt. Es sind "Rückstände der Traumwelt, die es, wie der Traum beim Erwachen, zu retten gilt" .
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