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der öffentliche raum der stadt (18)
 
reinhard kreissl (kriminalsoziologe, wien), transpublic, linz, 2007
 


P. A.: Was sind eigentlich die häufigsten kriminellen Vergehen ?

R. K.: Die Polizei macht eine Kriminalstatistik und da sind im Durchschnitt etwa 70% Bagatelldelikte, einfacher Diebstahl und Diebstahl unter erschwerten Umständen, also wenn jemand etwas wegnimmt oder etwas aufbricht, um zu stehlen, dann kommt Raub und Körperverletzung, ca. 10 %, und der Rest verteilt sich auf Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz, betrug - da fällt auch Schwarzfahren darunter. Was sich hinter den Zahlen verbirgt, weiß man nie so ganz genau: als Körperverletzung kann auch eine Rangelei auf dem Schulhof registriert werden. Die Mehrzahl sind Bagatelldelikte, nach der Schadenssumme sind ungefähr die Hälfte aller registrierten Fälle unter 50 €. Das ist die offizielle Kriminalitätsstatistik. Und dann gibt es einen kleinen Anteil, wie ein Sahnehäubchen obendrauf, spektakulärer Geschichten, wie Banküberfälle, Schwerer Raub, Mord, Sexualdelikte, die dann auch in der Zeitung vorkommen und in der Öffentlichkeit das Bild von Kriminalität prägen.

P. A.: Ihr Institut hat vor kurzem ein Buch herausgegeben - „Großstadtängste" - indem verschiedene europäische Städte miteinander verglichen werden. Wien hat in etwa die gleiche Kriminalität wie die Vergleichsstädte, aber die Leute fürchten sich viel weniger. Warum ist das so ?

R. K.: Was den Unterschied zwischen objektiver, also registrierter Kriminalität und subjektiven Sicherheitsempfinden ausmacht hat viel mit anderen Faktoren zu tun. Wir haben Städte wie Krakau, Budapest mit Wien verglichen. Und diesen sogenannten Transformationsgesellschaften ist das System weggebrochen - alle alten Dinge funktionierten nicht mehr und es herrschte eine allgemeine Verunsicherung und diese Verunsicherung erzeugt ein Gefühl der Unsicherheit, dass sich dann auf Kriminalität projeziert. Und da erklärt sich der Sonderfall Wien: Wien hat ein phantastische Ausstattung mit Infrastrukturen wie Kindergärten, hat eine tolle Wohnbaupolitik, geringe Arbeitslosigkeit, hat relativ wenig Probleme mit Migranten, hat kaum Ghettobildung, ist also noch ein klassisch funktionierendes wohlfahrtsstaatliches Regime und das gibt den Leuten Sicherheit. Also wenn der Rahmen sicher ist, fühlt man sich sicher und Kriminalität spielt dann nicht diese Rolle.
(...)

P. A.: Was in Linz nun auch ein Thema ist sind - staatliche - Überwachungskameras. Was hat das für Folgen für die Sicherheit und den öffentlichen Raum.

R. K.: Was eindeutig ist, ist ein Verdrängungseffekt. Klassischer Fall ist der offene Drogenhandel. Aber an diesem Beispiel wird auch eine Problematik deutlich. Die Drogenhändler sind von diesen Orten dann weg - aber Drogenhandel nicht. Der verlagert sich in die Wohnungen. Polizeistrategisch ist das kontraproduktiv. Ein kluger Polizeipräsident wird sagen: ich weiß wo meine Prostitution ist, ich weiß wo mein kleiner Drogenhandel ist und ich hab das unter Kontrolle.
Beim Sicherheitsgefühl bin ich mir nicht so sicher. Wo es sicher hilft und auch immer eingesetzt und gelobt wird ist bei der Ermittlung. Also wenn irgendwo etwas geschehen ist, setzt man sich dann hin und sieht sich die Bänder der Tatzeit an.
(...)
Die sozialen Folgen, - man kann fast von einer anthropologischen Revolution sprechen, weil wir auf den Status von Usern reduziert werden und wir alle im Prinzip verdächtig sind. Man verlangt von uns - bei der Bank, am Flughafen, im Krankenhaus usw. - das wir unsere Unschuld nachweisen. Ich muß mich permanent ausweisen, einen Code eingeben etc.. Zuallerst sind wir alle verdächtig und man muß Prozeduren durchmachen in denen man sich - als Unverdächtiger - authentifiziert. Was immer ich will - zuerst muß meine Person überprüft werden. Und das bringt uns alle in den Status des Verdächtigen. Und die Technologie ermöglicht und vereinfacht diese Prozedur.

P. A.: Es gilt also die Schuldvermutung.

R. K.: Ja. Früher sagte man: es ist alles in Ordnung, außer jemand benimmt sich komisch. Heute ist es egal wie man sich benimmt: beweise erstmal das du der bist der du behauptest zu sein.
...

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