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der öffentliche raum der stadt (15)
 
reinhard seiß (stadtplaner, publizist, wien), transpublic, linz, 2007
 


PA: Was wäre denn dein Ideal von Stadtplanung? Masterpläne entwickeln, an die man sich
hält?

RS: Von Planungspolitikern wird oft behauptet, dass es heute nicht mehr möglich sei, weit vorausschauend zu planen. Unsere Zeit sei eben kurzlebiger, schneller, globalisierter und flexibler, weshalb ein Plan der fünf oder zehn Jahre Gültigkeit hat, nicht mehr machbar sei. Wenn ich nun als Raumplaner und Kritiker dennoch Langfristigkleit und Ganzheitlichkeit in der Planung einfordere, wird mir von der Politik - konkret in Wien - mitunter realitätsfremdes, starres, geradzu planwirtschaftliches Denken vorgeworfen.
Ich sehe das naturgemäß anders.
Es gibt in der Planung einige sehr "weiche" Instrumente, die aber durchaus langfristige Ziele formulieren - etwa Texte aus den Landesraumordnungsgesetzen (wobei Wien als einziges Bundesland nicht einmal über ein solches verfügt), die ganz allgemeine Vorgaben benennen, wie das Flächensparen in der Siedlungspolitik, die Schonung von Ressourcen, die Reduzierung des Autoverkehrs, ja generell eine nachhaltige Entwickung. Diese "großen" Ziele haben keine Halbwertszeit von zwei, drei Jahren, sondern müssen selbstverständlich über einen längeren Zeitraum Haltbarkeit haben. Wir beobachten aber, dass dieselben Politiker, die diese Prinzipien verabschieden, bei vielen tagespolitischen Entscheidung ohne jede Konsequenz dagegen verstoßen, insbesondere wenn es um lukrative Standorte und Projekte geht.
Und das ist ein wesentlicher Punkt meiner Kritik. Es geht nicht darum, dass wir Raumplaner - was man unserer Zunft oft vorwirft - in unserer Berufsehre gekränkt sind, wenn ein ersonnener Plan durch Investoren eine Veränderung erfährt. Sondern es geht um jene erwähnten Grundsätze, die jede Politik als Orientierung braucht - um Ziele, an denen die Bürger die faktische Politik auch messen können. Für mich gibt es keinen anderen Bereich, in dem die Politik sich so wenig um die fachliche Meinung von Experten kümmert, wie die Raum- und Verkehrsplanung. Ich keine keine andere Materie, in denen die faktische Politik so stark von ihren eigenen übergeordneten Zielen abweicht.
In Wien z.B. beschloss die Stadtregierung 1994 die Reduzierung des Autoverkehrsanteils von 35% auf 25% bis zum Jahr 2010. Aufgrund einer verfehlten Verkehrspolitk aber hat der Autoverkehr seitehr absolut zugenommen und sein Anteil liegt nach wie vor bei besagten 35%. Im jüngsten Masterplan Verkehr wurde erneut das politische Ziel beschlossen, den Autoverkehrsanteil auf 25% senken - allerdings erst bis 2020. Gleichzeitig forciert die Stadtregierung aber aus vollen Kräften den Bau eines Schnellstraßenrings um Wien herum, setzt auf den Ausbau der Stadtautobahnen, tut - abgesehen vom (durch den Bund zu 50% co-finanzierten) U-Bahn-Ausbau - viel zu wenig für den öffentlichen Verkehr, subventioniert Parkgaragen usw.
Da werden also Unsummen an Steuergeldern in die Hand genommen und weitreichende Entscheidungen getroffen, die fundamental in die entgegengesetzte Richtung gehen. Dabei handelt es sich bei den strittigen Auswirkungen einer solchen Politik nicht um hehre planerische ideale, sondern um unsere Umwelt, das globale Klima und - siehe Feinstaub im Winter oder bodennahes Ozon im Sommer - um die Gesundheit der Bevölkerung.

PA: Aber ist eine Kommune in Zeiten leerer Kassen nicht mehr denn je auf Investoren angewiesen, die weniger diese allgemeinen Ziele als vielmehr ihre ganz speziellen, punktuellen Interessen verfolgen ?

RS: Die Mär, wonach Stadtplanung und Politik durch potente Investoren und Konzerne in die Defensive gedrängt werden, stimmt zumindest für Wien nicht. Hier zu Lande gibt es keine
Großindustrie (mehr), die - wie etwa der VW-Konzern in Niedersachsen - allein mit dem Arbeitsplatzargument ein ganzes Bundesland unter Druck setzen könnte. In Wien ist die Stadt der größte Arbeitgeber - und die absolut regierende SPÖ hat es verstanden, im Lauf der fünf, sechs Jahrzehnte auch ein perfektes wirtschaftliches Netzwerk zu spinnen.
Wer sind denn die großen Player in Österreich? Wie überall sind es heute die Banken und
Versicherungen. Österreichs größte Bank, die Bank Austria, ist aus der Zentralsparkasse, der ehemals stadteigenen Bank, hervorgegangen. Dem zu Folge saß im Aufsichtsrat der Bank Austria bis zu ihrem Verkauf an die Bayerische HypoVereinsbank das „who is who" der Wiener Sozialdemokratie - und die Stadt Wien hält über eine Stiftung nach wie vor Anteile an der BA-CA. Und was gehört alles zur Bank Austria? Na z.B. die PORR AG, Österreichs zweit- oder drittgrößter Baukonzern. Die Stadt Wien ist auch selbst Aktionär bei PORR, ist ihr größter Auftraggeber und betreibt joint ventures mit dem Hoch- und Tiefbau-Unternehmen. Der Höhepunkt war erreicht, als der frühere Wirtschafts- und Finanzstadtrat Vizebürgermeister Hans Mayr, lange Zeit die graue Eminenz im W iener Rathaus, nach
seiner politischen Karriere zum Aufsichtsratpräsendenten von PORR bestellt wurde.
Also das klassische Spiel - Investor bedrängt Politik, und die kann dann nicht anders als dessen Wünsche zu erfüllen - findet in Wien nur bedingt bzw. unter ganz speziellen Vorzeichen statt. Im Grunde sind die Stadt Wien und ihr Netzwerk die treibenden Kräfte der investoren-hörigen Stadtentwicklung, d.h. das Rathaus ist nicht Opfer sondern selbst Akteur.

PA: Hoffst du auf Einsicht bei den Verantwortlichen ?

RS: Das Ziel des Buches ist, eine möglichst breite Öffentlichkeit zu informieren und   Bewusstsein zu schaffen für solche Zusammenhänge. In der Rathauspolitik wird sich vermutlich nichts ändern. Aber viele Bürger zeigen sich zunehmend betroffen, zumindest skeptisch - und spätestens wenn die eigenen Kinder zweimal im Jahr an Bronchitis erkranken, ist es auch Otto Normalverbraucher nicht mehr egal, wenn fragwürdige Autobahnen durch die Stadt gezogen werden. Vielleicht ist das Buch ja ein Anstoß dazu, dass mancher private Widerspruch künftig öffentlich wird.

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