der öffentliche raum der stadt (10)
silja tillner (architektin, wien), transpublic, linz, 2004 |
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Pa.: wie begann eigentlich das gürtelprojekt ? war es ihre initiative, ist man an sie herangetreten ?
St.: am gürtel haben ja seit den 70er jahren wettbewerbe stattgefunden, speziell ende der 80er, anfang der 90er jahre - da war die phase der großen gürtelwettbewerbe, wo internationale planerteams mit großen aufwand städtebauliche lösungen entwickelt haben, die umwälzende veränderungen vorsahen, an denen sie dann auch gescheitert sind. Die hatten großes vor: die wollten zb. alle fahrbahnen um 3m verschieben, was zur folge gehabt hätte, dass man die gesamten gürtelalleen abholzen hätte müssen und der gewinn wäre marginal gewesen, weil der verkehr durch eine 3m verschiebung nicht um 1db leiser wird. die anrainer hätten zwar breitere gehsteige bekommen, aber sonst nicht viel.
Des wegen hat der damalige planungsstadtrat, der hannes swoboda, bis ins detail ausgearbeitet pläne am tisch - für die gesamten planungen wurden 72mio ats ausgegeben, nur für planungen. Nicht ein einziger strauch wurde versetzt - nur planung für die schublade. Und swoboda mußte entscheiden ob da etwas realisiert wird oder nicht, weil die gesamte verkehrsplanung für wien war dadurch blockiert.
Und zu dieser zeit war der swoboda in los angeles wo ich gelebt und gearbeitet habe und wir haben uns da getroffen. Ich habe mich mit rändern von stadtteilen, speziell mit einer autobahn die einen ganzen stadtteil zerschnitten hat, beschäftigt und das hat er dann gesehen und er hat dann spontan die idee gehabt mich einzuladen mir dieses problem anzusehen. Das war allerdings nur eine ministudie - mir das alles anzusehen und vielleicht fällt mir dazu etwas ein. Nachdem ich da relativ unbefangen war, weil ich die 6 jahre davor, wo die ganzen wettbewerbe stattgefunden haben im ausland war und habe eine ganz kurze studie entwickelt, die die potentiale der mittelzone aufgezeigt hat. Ich habe mich nur auf die mittelzone konzentriert, weil es den verkehr quasi nicht berührt hat. Nur einmal zu sehen was man mit den stadtbahnbögen und den vorfeld machen kann. Das immerhin ein 40m breiter streifen auf 6km länge. Ein schönes reservoir an freiflächen in einem gebiet, das in wien das dichtest bebaute und mit den wenigsten freiflächen der ganzen stadt ist. (...)
Und mir bei der studie schon klar, dass ohne ein zündendes konzept für die nutzung gar nichts gehen wird. Nur die bögen hübscher herrichten und die grünflächen gestalten - das lag schon auf der hand, das ganze gebiet war ja schon vernachlässigt, jeder laie konnte sehen, dass da ein licht hingehört und die pflanzen und bodenbeläge, aber das hätte nie gereicht. Und durch einen artikel im profil, dass die live-musiklokale schwierigkeiten haben und das chelsea gerade wieder mal von der polizei gesperrt wurde und dann war noch ein interview mit dem betreiber, dem othmar bajlic, das war mir sehr symphatisch und da hab ich mir gedacht: das ist es. dann habe ich aus dem telefonbuch othmar bajlic rausgesucht, angerufen und ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte das chelsea in einen stadtbahnbogen zu übersiedeln. Und der war sofort spontan hellauf begeistert und wir haben uns getroffen. Und das war ganz wichtig, weil der othmar partner der ersten stunde bei diesem projekt wurde. Wir haben dann für ihn ein paar bögen gesucht und mit höchster politischer unterstützung, also der swoboda damals, über generaldirektor skiba der wiener linien erreichen, das der einen mietvertrag bekommt. weil die wiener linien zu dieser zeit niemals an ein musiklokal vermietet hätten. Das war sie gleichbedeutend mit drogenszene, nicht bezahlter miete usw. der bajlic hat also den mietvertrag bekommen und diese geschichte ist deswegen wichtig, weil zu dieser zeit eigentlich noch gar keine planung passiert ist. ich wollte zuerst einmal sehen ob dieses nutzungskonzept funktioniert. Nachdem der othmar seinen mietvertrag hatte und mit dem umbau beginnen konnte, habe ich mit der oberflächengestaltung, also der planung des aussenraums, der beleuchtung usw. begonnen. Wir konnten dann zeitgleich mit dem chelsea den ersten abschnitt beleuchteter gürtel um das chelsea herum eröffnen. Und auch die planung, das die fußgänger vor den lokalen gehen sollen und nicht neben der strasse - aber das hat alles aufgebaut auf den nutzer. Und das chelsea war von ersten tag an ein riesenerfolg, weil es ein tolles stammpublikum hatte, das sofort auf den gürtel mitübersiedelt ist. Und kaum war das chelsea eröffnet war der abschnitt zwischen den zwei u-bahnstationen thaliastrasse - josefstätterstrasse auch in der nacht völlig problemlos begehbar. Ich habe das vorher ausprobiert wie das ist in der nacht dort zu gehen und das war sehr unangenehm. Und kaum war das chelsea da, sind soviele leute unterwegs gewesen, wie halt auf anderen gehwegen auch. Das war die anfangsgeschichte.
Dann gab es das ansuchen um die eu-förderung mit einer heerschar an beamten und 1996 kam die zusage der eu. (...)
Pa.: was ich daran interessant finde ist, dass noch bevor eine planung da war ein nutzungskonzept da war. Ist dieses vorgehen gürtelspezifisch gewesen oder machen sie das sonst auch in der art.
St.: das ist schon methode. Das nutzungskonzept muß man noch weiter gefasst sehen. Nicht nur das man sich überlegt was für eine art von geschäft oder lokal soll da hin kommen, sondern das man sich mit dem standort auseinandersetzt - was ist dort. Das ist ja absurd: jede supermarktkette macht bevor sie irgendwo einen supermarkt eröffnet eine ganz genaue standortanalyse. Und in der stadtplanung passiert soetwas vergleichsweise überhaupt nicht. Da werden gewisse dinge an gewisse orte positioniert ohne das umfeld genau zu untersuchen. Ich habe das halt selber alles abgegangen, habe mir angeschaut was es für eine geschäftsstruktur am gürtel gibt, habe festgestellt das so geschäfte wie zb. tauchertreff sehr gut funktioniert, also alles dinge die überregional angeordnet sind, wo die leute von niederösterreich auch reinkommen und einen taucheranzug kaufen.
Pa.: sind sie da reingegangen in die geschäfte und mit den geschäftsinhabern gesprochen ?
St.: ja. Für die stadtbahnbögen hatte ich dann einer historikerin einen auftrag gegeben und hat 2 wochen lang interviews geführt und niedergeschrieben. das war ein schöner oral-history beitrag zu dem projekt, weil einige von denen sind jetzt schon in pension und auch ein schönes spektrum vom buchmacher, tapezierer etc.. was ganz interessant war, dass sie mit dem rotlichtmileu kein problem haben. Das war eine wichtige erkenntnis, weil die erste frage, die einem jeder gestellt hat: was machen sie mit dem rotlichtmileu ? und da war dann meine antwort: nichts. Weil das ist nicht das problem. Das existiert in der randzone, nachwievor. Die idee war die mittelzone mit einer neuen nutzung zu beleben, das eine überlagerung stattfindet, aber keine verdrängung.
Pa.: am gürtelrand ist nichts passiert?
St.: am anfang gar nicht, auch nicht in der planung. Das war so ein teil der strategie oder eine erkenntnis - dass haben uns die gescheiterten gürtelgroßpläne gezeigt -, dass wenn man sich einen zu großen brocken vornimmt nichts mehr zu bewegen ist, weil ich zuviele gleichzeitig dazu bekommen muß, große zugeständnisse zu machen. in der fachwelt war am anfang schon die diskussion: hallo, das ist ja kein städtebau - stadtbahnbögenlokale und so - das ist zu bescheiden. Jetzt im nachhinein ist das urban-projekt das herzeigeprojekt der stadt.
Pa.: stadtplanung ist bei ihnen schon sehr erweitert: Sie denken sich ja nicht nur ein nutzungskonzept aus, rufen potentielle nutzer an, sondern verhelfen denen auch noch - gegen die widerstände der eigentümer - unter zuhilfenahme der politik zu einem mietvertrag.
St.: das war im fall des chelsea so - danach ging es schon einfacher. Da war ja auch ein ganzes team in der stadtplanung, das ist schon ganz wichtig. Ich war ja da kein einzelkämpfer. Wie in der stadtplanung klar war, wie das konzept umgesetzt wird und vor allem wie es dann eu-geld gab, war die stadtplanung auch unter einem ziemlichen erfolgsdruck und hat dann ein team zusammengestellt, wo wirklich von jeder abteilung, die etwas zu sagen hat wer drinnen war und ein sehr guter manager eingesetzt der dieses team geleitet hat. Der war wirklich sehr sehr gut, das war ganz wichtig. Ich war dann eine rolle in dem team.
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