der öffentliche raum der stadt (05)
dietmar steiner (architekturzentrum, wien) transpublic, linz, 2003 |
Ds.: vor 20 jahren hat die debatte öffentlicher raum begonnen - davor war das kein thema. Ich bin immer wieder draufgekommen, wenn es um die fragen des öffentlichen raums bis hin zur stadtmöblierung ging, um fragen wie ordnung oder freigabe, um gestaltung oder nichtgestaltung, dass sich kaum jemand mit der geschichte des öffentlichen raums beschäftigt.
Es kursiert ein mythos der da heißt, der öffentliche raum sei ein freier urbaner raum, wo alle menschlichen individuen sich frei und nach ihren bedürfnissen bewegen. Und das ist ein effektiver mythos, der vielleicht aus den merkpunkten der geschichte des öffentlichen raums kommt, barrikadenkämpfe, pariser commune bis hin zu 1968 - die eroberung des öffentlichen raums. Faktum ist, dass wir bis zur moderne einen sehr streng reglementierten öffentlichen raum hatten. Im mittelalter gabs zb. noch ganz starke kleiderordnungen, also was darf man anziehen im öffentlichen raum, wer darf im öffentlichen raum sein. also eine sehr stark segmentierte gesellschaft mit effektiven zugangsbeschränkungen wer sich im strassenbild überhaupt zeigen darf.
Das ging weiter in der renaissance und auch im barock. Ein aktuelles argument heutzutage ist ja das schimpfen über den veranstalteten-inszenierten öffentlichen raum. Diese form der eventkultur im städtischen raum hat heute noch lange nicht den umfang erreicht wie im barock. Allein in wien hat es in der barockzeit in einem jahr über 400 prozessionen gegeben, also mehr als eine am tag. Der öffentliche raum war sozusagen in den händen der katholischen kirche, die ihn als ihren repräsentationsraum gesehen hat. Wenn man sich die canaletto-bilder über wien ansieht findet man kaum ein bild wo nicht irgendeine prozession durchgeht.
Im 19. Jahrhundert gabs die glacis-räume, also dort wo die stadtbefestigungen geschleift wurden um die vororte mit der innenstadt zu verbinden, und diese räume waren rechtsfreie räume, dort hat sich das dienstpersonal, die soldaten usw. getroffen - und das kam dem heutigen mythos des öffentlichen raums nahe. Es war aber damals auch eine heftige debatte in der bevölkerung für die aufhebung dieses zustandes und es kam dann ja auch meist zur bebauung der glacis.